Warum KISS?
KISS möchte Menschen gezielt darin unterstützen, ihren Substanzkonsum
einzuschränken oder gegebenenfalls ganz einzustellen. KISS ist also
"zieloffen": Eine Reduktion oder eine Beendigung des Konsums sind möglich.
Vier Gründe sprechen für ein solches zieloffenes Angebot:
- Bessere Erreichbarkeit von Menschen mit Suchtproblemen.
- "Die normative Kraft des Faktischen": Anders geht es nicht!
- Berücksichtigung ethischer Grundprinzipien.
- Förderung des beraterischen-therapeutischen Prozesses.
1. Durch die Option einer Konsumreduktion können mehr Menschen für eine
Veränderung gewonnen werden, als durch die für viele Menschen abschreckende
Vorabfestlegung auf Abstinenz ("Nie mehr Drogen!").
Die überwiegende Zahl der 1,3 Mio. KonsumentInnen illegaler Drogen -
nämlich 96,5% - taucht im Suchthilfesystem (Suchtberatungsstellen,
Suchtfachkliniken, Sozialpsychiatrische Dienste, Psychiatrische
Krankenhäuser/Abteilungen, Selbsthilfegruppen) gar nicht erst auf.
Die Einengung von Behandlungsangeboten auf abstinenzorientierte und
die damit einhergehenden Stigmata ("Alkoholiker", "Junkie") und
Vorgaben ("nie mehr Alkohol/Heroin/Cannabis" ...) erschweren die
Nachfrage nach Hilfe.
2. Die normative Kraft des Faktischen: Ein nicht unerheblicher Teil
der Drogenabhängigen will nicht abstinent leben.
Von der Gruppe der in ambulanten Suchtbehandlungsstellen auftauchenden
schwersten CannabiskonsumentInnen ("Hochrisikokonsumenten") nennen 43,1%
als Ziel ihrer Wahl "Hilfe bei der Konsumreduzierung" (Simon & Sonntag,
2004; "Hilfe beim Aufhören" wünschen sich 50 %).Auch viele Drogenabhängige
in Therapieeinrichtungen geben an, bestimmte legale und illegale Drogen
weiter konsumieren zu wollen (Feder, 2001).
3. Eine zieloffene Herangehensweise an Drogenprobleme wird der bioethischen
Maxime gerecht, nichts gegen den Willen des Klienten zu tun.
Diesem Grundsatz folgend, sollten die Frage von Abstinenz oder kontrolliertem
Konsum explizit und sanktionsfrei ins Gespräch gebracht, das Für und Wider
dieser Ziele erörtert und der Klient fachlich profund bei dem Ziel unterstützt
werden, das er letztlich anstrebt - im Falle von kontrolliertem Konsum durch die
dafür vorhandenen Programme (KISS, AkT etc.).
Unter ethischem Blickwinkel ist es zudem geboten, Menschen nichts abzuverlangen,
was zu erbringen sie im Moment nicht in der Lage sind ("Sollen setzt Können voraus").
Eine Konsumreduktion ist deshalb in Betracht zu ziehen, wenn sich Abstinenz - zumindest
temporär - als nicht realisierbar erweist.
4. Zieloffenheit ist Voraussetzung für eine kooperative Beziehung zum
Klienten und eine "geschmeidige" therapeutische Arbeit.
Eine zieloffene Vorgehensweise bringt – im Gegensatz zur Abstinenzzielvorgabe –
den erheblichen therapeutischen Vorteil mit sich, dass sich Klienten ernst
genommen fühlen und zu ehrlichen Aussagen sowie aktiver Mitarbeit ermuntert
werden, statt in die innere Emigration abzutauchen, im Widerstand gegen Veränderung
zu verharren und "gute Miene zum bösen Spiel zu machen". Außerdem wird durch eine
zieloffene Herangehensweise der freiwillige, aus eigener Überzeugung vorgenommene
Wechsel vom kontrollierten Konsum zur Abstinenz erleichtert, falls sich eine
Konsumreduktion als unerreichbar oder letztlich unerwünscht erweisen sollte.